Falkenseer Allianz für Menschen mit Demenz

das Resüme unserer Veranstaltung Tag der Begegnung - Mit Demenz im Krankenhaus am 07.11.2023.

Berichten, fragen, Impulse geben – Ein Tag voller Begegnungen

Mit Demenz im Krankenhaus, die neue Situation stellt die Erkrankten, Angehörige und Personal im Krankenhaus vor Herausforderungen. Wie kann dem begegnet werden? Welche Möglichkeiten zur Erleichterung der Situation gibt es? Und wo sind die Grenzen des Leistbaren?
Ein Treffen mit Beteiligten zeigte die IST-Zustände und was wünschenswert wäre. Zu den vielen Ergebnissen gehört auch, dass sich die Teilnehmenden mehr solcher Veranstaltungen wünschen.

Große Resonanz

Rund vierzig Teilnehmende waren der Einladung von Else Schmidt, vom Falkenseer Netzwerk für Menschen mit Demenz, gefolgt. Betroffene, pflegende Angehörige und Mitarbeitende in Pflegeberufen und Beratungsstellen und deren Angehörige fanden sich am 07.11.2023 im Mehrgenerationenhaus Falkensee zusammen. „Mit Demenz im Krankenhaus – Möglichkeiten und Grenzen“, war der Titel der Veranstaltung. Dabei ging es um die Situation, dass jemand nicht aufgrund seiner Demenz, sondern aufgrund einer anderen Erkrankung ins Krankenhaus kommt (Demenz als Sekundärdiagnose).

Akut krank und Demenz

Auch Menschen mit Demenz brechen sich einen Arm oder ein Bein, bekommen einen Herzinfarkt oder eine Gallenkolik. Sie werden dann auf den entsprechenden Akutstationen behandelt. Und so wie andere Patienten schwerhörig sind oder ein chronisches Asthma in der Auflistung bereits vorhandener Erkrankungen oder Einschränkungen haben, ist es bei ihnen die Demenz. Sie stellt an behandelnde Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige besondere Herausforderungen.

Die Klinik – der schlechteste Ort für Menschen mit Demenz

Die verschiedenen Sichtweisen zeigten die Gastredner:innen auf. Es moderierte Barbara Reindl aus Hamburg. Das Grußwort kam von Sonja Köpf, vom Kompetenzzentrum Demenz für das Land Brandenburg, Alzheimergesellschaft Brandenburg. Köpf bringt es sogleich auf den Punkt - das Krankenhaus ist der schlechteste Ort für Menschen mit Demenz. Nicht dass sie schlecht behandelt würden und natürlich brauchen auch sie die Versorgung einer Klinik.

Hektik & Demenz vertragen sich nicht

Kommt ein Mensch mit Demenz wegen einer anderen akuten Erkrankung in ein Krankenhaus mit Notfallversorgung, landet er/sie zunächst in der Ersten Hilfe oder auch Rettungsstelle genannt. Hier geht es oft hektisch zu, automatische Türen schwingen auf und zu, Menschen mit wehenden weißen Kitteln eilen durch die Gänge, Telefone schrillen, fremde Stimmen surren durch den Raum, Rufe, vielleicht sogar Schreie. Eine unübersichtliche Situation, auch für gut orientierte, wenn auch aufgeregte, Menschen. Wie verwirrend muss das folgend auf Menschen wirken, die sich nicht mehr gut orientieren können? Erst recht, wenn man nicht weiß, wo man gerade ist oder warum?

Demenz auch nicht immer bekannt

Und noch sehr viel schwieriger wird es für das Klinikpersonal, wenn es nichts von der Demenz wisse und damit auch nicht auf die besondere Situation eingehen könne, sagt Köpf.

Etikett „Schwierig“

„Akut-Klinken sind optimiert, alles ist auf Funktionalität ausgelegt“, erklärt Köpf weiter. Und: „Für Menschen mit kognitiven Einschränkungen ist das aber ein Problem.“ Auch für Menschen ohne diese Einschränkung, können diese Abläufe schwierig zu verstehen sein. Doch vor allem eine Person mit Demenz hat damit verstärkt Schwierigkeiten, reagiert möglicherweise mit Flucht, läuft davon oder verhält sich abwehrend und aggressiv. Krankenhäuser sind aber auf die Kooperation ihrer Patienten angewiesen. Mit ablehnendem Verhalten binden Patienten die knappe Ressource Personal.

Angehörige als Partner

Angehörige werden nach Köpfs Erfahrung nicht immer als Partner wahrgenommen und eingebunden. Das wird sich später auch noch mal bestätigen.
Eine gute Tagesstruktur helfe Menschen mit Demenz, sagt Köpf, allerdings sei diese in der Klinik unterbrochen. Jetzt können vertraute Gesichter helfen, geschultes, demenzsensibles Personal, geschützte Räume oder Bereiche. Nicht einfach in der Notaufnahme, weiß auch Köpf.
Rooming in, also die persönliche Begleitung von Menschen mit Demenz, wird viel zu selten angeboten. Dabei gibt es ein gesetzliches Recht darauf. Das wird mancherorts umgesetzt, so wie auch schon einige Rettungsstellen geschützte Bereiche haben. „Aber das sind noch Insellösungen und leider noch nicht flächendeckend“, sagt sie.

Aufenthalt in der Rettungsstelle – ein Erfahrungsbericht

Joachim Maschmeyer pflegte seine an Demenz erkrankte Frau bis zu ihrem Tod. Er schildert an zwei Erlebnissen, wie sich Aufenthalte in Rettungsstellen unterscheiden können. In diesem Fall ist es das gleiche Krankenhaus, der Unterschied liegt im Personal.
Die Ehefrau hat seit Tagen keinen Stuhlgang, weshalb Maschmeyer mit ihr die Rettungsstelle aufsucht. Zwei, drei Stunden warten, dann kommt eine freundliche Fachärztin der Geriatrie, untersucht seine Frau, erklärt, dass Kotsteine für das Problem verantwortlich seien und entfernt diese. Damit es nicht zur erneuten Verstopfung durch Kotsteine kommt, empfiehlt sie die Einnahme eines Abführmittels.
Dennoch kommt es einige Wochen später zum gleichen Problem, wieder fährt das Paar in die Rettungsstelle des gleichen Krankenhauses. Wieder warten, diesmal gerät das Paar an einen Oberarzt der Inneren Medizin, der noch vor der Untersuchung erklärt, man werde der Patientin nicht alle sechs Wochen die Kotsteine entfernen. Maschmeyer beschreibt den Arzt als ruppig, was offenbar auch die Ehefrau spürt. Der Aufforderung des Arztes, sich auf die Liege zu legen, folgt sie nicht. Der Arzt kann sie nicht untersuchen und empfiehlt nun eine Darmspiegelung. Für diese Untersuchung muss vorher Abführmittel getrunken werden. Maschmeyers Frau trinkt es nicht, womit die Untersuchung nicht möglich ist.

Frage- und Austauschrunde

Im Anschluss an den Erfahrungsbericht haben die Besuchenden das Wort. Ein pflegender Angehöriger möchte wissen, ob an Demenz Erkrankte auch ohne weitere Diagnose stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden können? Die Frage geht, wie sich kurz darauf zeigt, in eine Richtung, die hier viele beschäftigt. Was, wenn man als pflegender Angehöriger ausfällt?
Zunächst, es gibt die Möglichkeit der überforderten Angehörigen, sich Unterstützung und Entlastung suchen. Unter dem Aspekt „Soziale Indikation“ kann hier schon mal eine stationäre Aufnahme erfolgen. Treten Verhaltensstörungen bei einer an Demenz erkrankten Person auf, kann dies ebenfalls ein Grund für eine Klinikeinweisung sein.

Was wenn aus dem pflegenden Angehörigen ein kranker Angehöriger wird?

Fällt die / der pflegende Angehörige aus, soll eigentlich die Kurzzeitpflege einspringen. Eigentlich, denn in der Erfahrungswelt der pflegenden Angehörigen sieht das nicht so einfach aus. Diese temporär zur Verfügung stehenden Plätze sind oft schon auf Wochen im Voraus ausgebucht. Die Möglichkeit der Kurzzeitpflegen, Betten für Notfälle freizuhalten, sind begrenzt, erklärt eine Mitarbeiterin einer Kurzzeitpflegeeinrichtung. Denn nur belegte Betten werden bezahlt, während Kosten für Miete und Personal weiterlaufen.

Check-Liste

Eine Checkliste für den Akutfall, die aufzeigt, wo sich pflegende Angehörige im Notfall hinwenden können, das würden sich hier gleich mehrere Angehörige wünschen. Gleichzeitig wird auch ihnen das Anlegen einer solchen Notfall-Liste geraten. Wer könnte im Notfall mit einspringen und wie wo unterstützen? In einer sogenannten Notfalldose können wichtige Angaben dazu vorbereitet werden.

Behinderung = Demenz

Menschen mit Behinderung haben zum Beispiel Ansprüche auf Assistenzleistungen, wird angeregt. Stichwort LEICHTE SPRACHE. Allerdings müssen auch Menschen mit Behinderungen solche Leistungen Wochen im Voraus beantragen, gibt Reindl bedenken.

Recht auf Begleitung

Auch die folgende Frage kommt auf. Recht haben und Recht umsetzen sind oft zweierlei. „Im Rettungswagen“, sagt ein Besucher, „gibt es die versicherungstechnische Frage, ob ein Angehöriger mitgenommen werden kann. Sollte es auf der Fahrt zu Komplikationen kommen, besteht die Gefahr, dass der Mitfahrende einer Behandlung im Wege steht oder sie nicht selbst mit ansehen kann.“

Handynummer weiterreichen

Tipp eines Angehörigen - hinterherfahren, vorher dem Fahrer des Rettungsfahrzeuges die eigene Handynummer geben. Für den Fall, dass das anzufahrende Krankenhaus keine Kapazitäten hat und eine andere Klinik angefahren werden muss, kann diese Info so weitergereicht werden.

Attest ausstellen lassen

Auf die Frage, ob man ein Attest ausstellen lassen kann, welches bescheinigt, dass der demente Angehörige Begleitung benötigt, erklärt ein anderer Besucher, dass dies durch einen Vertragsarzt ausgestellt werden könne und zwei Jahre gültig wäre.

Realität in der Klinik

Aus der Havelland-Klinik Nauen ist die Oberärztin für Geriatrie Sabrina Wörl da. Ungefähr ein Drittel der Patienten in der Geriatrie seien dement, sagt sie. In der Geriatrie ist man auf das Krankheitsbild eingestellt. Es gibt Konzepte, nach denen gearbeitet wird. Hier wäre es sicher hilfreich gewesen, ein/e ärztliche Kollege/in aus dem Akutbereich dabeizuhaben. Wörl berichtet, dass ungefähr vier Jahre nach der Diagnose Demenz das Risiko für weitere Erkrankungen steige. Sie erklärt, man habe Grundregeln zum Umgang mit Demenzerkrankten, wie einfache und ruhige Sprache, klare, kurze Sätze. Man gäbe Orientierungshilfen durch angebrachte große Uhren in jedem Zimmer. Man achte darauf, dass Hör- und Gehhilfen genutzt werden und die Patienten ausreichend trinken. Die Türen haben neben den Zimmernummern Bilder, es gäbe viele Haltegriffe, Therapeuten kümmern sich von A wie Atemübung bis Z wie Zähne putzen.

Belächeltes Können

Wörl berichtet auch, dass sie von den Mitarbeitenden anderer Stationen schon mal belächelt werden. „Das macht es auch schwer, die Mitarbeitenden anderer Abteilungen für den Umgang mit an Demenz Erkrankten zu schulen“, beantwortet sie die dahingehenden Fragen.

Und die Pflegekräfte?

Auch die seien im Geriatrie-Bereich entsprechend geschult, sagt Jasmin Kanwischer, die seit 2016 als Pflegefachkraft in der Geriatrie tätig ist, der sogenannten Altersmedizin. Auch sie beschreibt die Konzepte der Klinik, spricht über die Biografiearbeit und das Entlassungsmanagement. Eher nebenbei wird eines der Probleme angesprochen. Eigentlich sollen sie des Nachts für dreißig Patienten zwei Pflegekräfte sein. Tatsächlich sagt sie, sei es oft nur eine.

Ideensammlung

Ganz viele der Vorschläge und Hinweise landen auf Plakaten mit der Überschrift „Ideensammlung“. Klar wird, es braucht mehr Vernetzung zwischen allen Akteuren. Viele pflegende Angehörige kennen nur einen Teil ihrer Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf Rooming in bei Angehörigen von Menschen mit Demenz bei medizinischer Notwendigkeit.
Es gibt auch anderweitige Anregungen, ob zum Beispiel ein Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis für Demenzerkrankte möglich wäre? Vorgeschlagen wird eine Kontaktliste mit Anlaufstellen auf der Homepage der Falkenseer Allianz für Demenz. Die Angehörigen würden sich mehr Schulungen für die Krankenhausmitarbeiter anderer Abteilungen wünschen und gern auch an diesen teilnehmen. Dazu einen Austausch zwischen Krankenhausmitarbeiter und Angehörige. Gewünscht wird auch eine Fortsetzung der Veranstaltung, gern dann auch mit ärztlichen und Pflegepersonal aus anderen Abteilungen. Thema könnte hier auch die Möglichkeit von Reha-Maßnahmen für pflegende Angehörige sein.

Broschüre zum Thema

Das vielfach gewünschte Informationsblatt „Mit Demenz im Krankenhaus“ gibt es bereits. Die Information für Angehörige von Menschen mit Demenz wurde von der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft entwickelt und ist auch bei beiden erhältlich. Mehr dazu unter: www.dkgev.de oder www.deutsche-alzheimer.de


Quelle: Artikel Frau Passow